BERUFSMEISTERSCHAFTEN

«Ein Medaillengewinn bringt Ansehen und Erfolg»

Im September 2018 finden die zweiten nationalen Berufsmeisterschaften statt – die SwissSkills 2018. Was bringen solche Anlässe der Berufsbildung? Was zeichnet die Medaillengewinnerinnen und -gewinner aus? Und: Was bringt ihnen dieser Erfolg beruflich? Prof. Dr. Margrit Stamm* ist diesen Fragen in einer Studie nachgegangen (Kasten).

An den SwissSkills 2018 werden rund 900 junge Berufsleute teilnehmen. Die besten unter ihnen gehen danach an die WorldSkills. Welche Bedeutung haben solche Meisterschaften für die Berufsbildung?
Berufsmeisterschaften ermöglichen es, anschaulich und emotional zu zeigen, was die Berufsbildung leistet und welche Perspektiven sie jungen Menschen bietet. Sie zeigen, dass es nicht nur in der akademischen Welt hoch talentierte Berufsleute gibt. Und sie machen sichtbar, dass die berufliche Grundbildung eine gute Basis für eine erfolgreiche Laufbahn ist. Das sind wichtige Signale – insbesondere in Richtung Eltern mit Kindern im Berufswahlalter. Und noch etwas: Meisterschaften motivieren zu Höchstleistungen. Sie setzen also einen wichtigen Anreiz für junge Berufsleute.

Berufsmeisterschaften sind Publikumsmagnete. Wie wichtig ist dieser Aspekt?
Die ersten nationalen Berufsmeisterschaften 2014 haben 155 000 Menschen besucht. Es kamen viele Schulklassen und viele Familien. Meisterschaften sind also wichtige Schaufenster für die Berufsbildung. Besonders wertvoll ist, dass sich Jugendliche im Berufswahlalter an den Wettkämpferinnen und Wettkämpfern ein Vorbild nehmen können. Die Leidenschaft, mit der die jungen Berufsleute ans Werk gehen, die Faszination, die sie für ihren Beruf zeigen – das hinterlässt bei den Jugendlichen einen starken Eindruck.

Sie haben untersucht, was die Medaillengewinnerinnen und -gewinner nationaler und internationaler Berufswettbewerbe auszeichnet. Warum?
Mich interessiert, welche Faktoren den Erfolg begabter Menschen begünstigen.

Was also macht aus jungen Menschen Siegerinnen und Sieger an Berufsmeisterschaften?
Begabung, Förderung und hartes Training. Begabte Jugendliche müssen permanent gefördert und gefordert werden. Sie brauchen ein Umfeld, das sie motiviert, das ihnen gute Übungsmöglichkeiten bietet und die Latte ständig etwas höher legt. Neben Begabung und Förderung braucht es auch Wille und Fleiss. Kommt alles zusammen, sind Höchstleistungen möglich.

In vielen Sportarten gibt es ausgeklügelte Fördermodelle für den ambitionierten Nachwuchs. Wie sieht es in der Berufsbildung aus?
Es läuft vieles zufällig und unsystematisch ab. Einige Lehrbetriebe sind enorm engagiert, andere machen gar nichts in diesem Bereich. Hinzu kommt, dass – anders als im Sport – die Förderung erst im Alter von 16 Jahren einsetzt. In der Schule werden primär intellektuelle Begabungen gefördert, aber kaum praktische.

Sie fordern den systematischen Aufbau einer Praktikerelite. Wie soll das gehen?
Wenn ich das wüsste … (lacht). Sagen wir es so: Für schwächere Jugendliche gibt es zig Förderprogramme. Etwas Adäquates sollte es auch für praktisch begabte Jugendliche geben – und zwar unabhängig von Lehrbetrieb und Berufe.

Wie könnte eine solche Förderung aussehen?
Begabte Lernende sollten beispielsweise die Möglichkeit haben, mehr Verantwortung und anspruchsvollere Aufgaben zu übernehmen. Einige Lehrbetriebe ermöglichen dies – aber längst nicht alle. Hier tut eine Systematisierung Not, um Chancengleichheit zu gewährleisten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass begabte Lernende die Ausbildung in kürzerer Zeit absolvieren können. Solche Instrumente würden die Berufsbildung für leistungsstärkere Jugendliche attraktiv machen.

Attraktiv klingt auch der Begriff «Praktikerelite» …
Ich habe bewusst diese provokative Bezeichnung gewählt. Zur Elite gehört, wer in einem Fachgebiet über eine herausragende Expertise verfügt. Ob es sich um eine akademische oder eine praktische Disziplin handelt, spielt keine Rolle. Die Berufsbildung darf in diesem Punkt durchaus etwas selbstbewusster auftreten.

An die Leistungsspitze der Berufsbildung stossen überdurchschnittlich viele Jugendliche aus einfachem Elternhaus und mit bescheidenem Schulrucksack vor. Zufall?
Nein, dafür gibt es eine gesellschaftliche und eine psychologische Erklärung. Die gesellschaftliche: Kinder aus akademischem Elternhaus sind in der Berufsbildung weit unterdurchschnittlich vertreten. Das soziale Umfeld ist also nach wie vor ein zentraler Faktor bei der Wahl des Bildungswegs. Die psychologische Erklärung: Wer aus einfachen Verhältnissen stammt, muss mehr für den sozialen Aufstieg tun. Es ist kein Zufall, dass viele Jugendliche mit Migrationshintergrund sehr ehrgeizig sind und es unter den Teilnehmenden an Berufsmeisterschaften besonders viele Realschülerinnen und -schüler gibt – auch in anspruchsvollen Berufen. Die Aussicht auf Erfolg und Anerkennung löst bei vielen eine wahre Leistungsexplosion aus.

Zurück zu den Berufsmeisterschaften. Eine Medaille zu gewinnen ist schön. Doch: Was bringt das den Gewinnerinnen und Gewinnern langfristig?
Zur langfristigen Wirkung liegen noch keine Daten vor. In der kurzen Frist sind die Folgen beachtlich. Mehr als 50 Prozent der Medaillengewinnerinnen und -gewinner können ihre berufliche Position verbessern. Sie haben eine Führungs- oder Fachfunktion übernommen und/oder erhalten mehr Lohn. 88 Prozent treten eine Weiterbildung an – der Durchschnitt in dieser Altersgruppe liegt bei 22 Prozent. Hinzu kommt der Mehrwert auf der persönlichen Ebene: der Austausch mit Gleichgesinnten, die vielfältigen und neuen Erfahrungen, die Anerkennung. Fazit: Ein Medaillengewinn an Berufsmeisterschaften bringt Ansehen und Erfolg.

*) Margrit Stamm ist Professorin em. für Erziehungswissenschaft der Universität Fribourg und Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education.

Infobox

Studie
Die Studie «Die Top 200 des beruflichen Nachwuchses – Was hinter Medaillengewinnern an Berufsmeisterschaften steckt» kann unentgeltlich als Download bezogen werden. Download

SwissSkills 2018
Vom 12. bis am 16. September 2018 finden in Bern die zweiten nationalen Berufsmeisterschaften (SwissSkills 2018) statt. Link


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