Leitbild «Berufsbildung 2030»

«Es ist an der Zeit, neue Impulse zu setzen»

Anfang Jahr haben die Verbundpartner (Wirtschaft, Sozialpartner, Bund, Kantone) das Leitbild «Berufsbildung 2030» verabschiedet. Wieso braucht die Berufsbildung ein Leitbild? Was bringt es? Wie wird es umgesetzt? Im Gespräch: Rémy Hübschi* vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI.

Herr Hübschi, wieso braucht die Berufsbildung ein Leitbild?
Die Berufsbildung ist kein Selbstläufer. Sie braucht einen Kompass, an dem sie sich orientieren kann. In den letzten fünfzehn Jahren war dieser Kompass das Berufsbildungsgesetz aus dem Jahr 2004. Es hat grosse Veränderungen ausgelöst, die mittlerweile umgesetzt sind – zum Beispiel die Integration der Berufsfelder Gesundheit Soziales und Kunst. Jetzt ist es an der Zeit, den Kompass zu justieren und neue Impulse zu setzen.

Die Berufsbildung – so das Leitbild – sei ein Erfolgsmodell und solle es bleiben. Was könnte den Erfolg gefährden?
Zentral für die Berufsbildung sind die Arbeitsmarktorientierung, die Dualität zwischen Theorie und Praxis, die inhaltliche Steuerung durch die Organisationen der Arbeitswelt, die Durchlässigkeit des Systems sowie die Verbundpartnerschaft. Wenn wir an einer dieser Säulen rütteln, dann gefährden wir den Erfolg der Berufsbildung.

Das Leitbild versteht sich auch als Antwort auf die Megatrends Digitalisierung, zunehmende Mobilität und Flexibilität, steigende Anforderungen sowie Globalisierung. Gefährden diese Entwicklungen die Berufsbildung?
Keiner dieser Megatrends bedroht die Berufsbildung existenziell. Aber sie verändern die Arbeitswelt und damit die Berufsbildung, welche die Fachkräfte für die Arbeitswelt der Zukunft ausbildet. Die Verankerung im Arbeitsmarkt sorgt jedoch dafür, dass die Berufsbildung rasch reagiert und sich inhaltlich permanent erneuert. Die Bildungspläne werden regelmässig überprüft und aktualisiert.

Wer die Berufsbildung kennt, findet im Leitbild 2030 kaum visionäre Ansätze. Die meisten Ansagen sind altbekannt …
… weil die grundsätzliche Richtung der Berufsbildung stimmt. Es braucht keine Revolution. Das Leitbild ist im Rahmen eines breit abgestützten und partizipativen Prozesses entstanden. Es ist Ausdruck davon, dass die Berufsbildung gut unterwegs ist.

«Die Berufsbildung sichert den Wohlstand der Schweiz», steht in der Vision des Leitbilds. Das ist selbstbewusst. Eine Kampfansage an die Allgemeinbildung?
Überhaupt nicht. Doch es gibt gute Gründe, selbstbewusst aufzutreten. Die Berufsbildung integriert zwei Drittel aller Jugendlichen in den Arbeitsmarkt. Wir sind überzeugt, dass sie massgeblich zur tiefen Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz beiträgt. Zudem versorgt die Berufsbildung die Wirtschaft auf allen Ebenen mit qualifizierten Fachkräften. Dies alles trägt entscheidend zum Wohlstand der Schweiz bei.

Ein weiterer Satz aus der Vision: «Sie (die Berufsbildung) wird primär von der Wirtschaft getragen.» Fürchten Sie um das Bekenntnis der Wirtschaft zur Berufsbildung?
Nein. Die Wirtschaft zeigt ein enormes Engagement, welches wir anerkennen. Aber wir müssen sicherstellen, dass dies so bleibt. Es gibt keinen Ausbildungszwang, alles beruht auf Freiwilligkeit. Mit anderen Worten: Wir dürfen die Berufsbildung nicht so regulieren, dass die Betriebe keine Lehrstellen mehr anbieten oder nicht motiviert sind, in die Höherqualifizierung ihrer Mitarbeitenden zu investieren. Stattdessen müssen wir attraktive Rahmenbedingungen zur Ausbildung von Lernenden und zur Unterstützung des lebenslangen Lernens schaffen.

Das Leitbild 2030 umfasst strategische Leitlinien (siehe Kasten). Wie stellen Sie sicher, dass die Forderungen in der Praxis ankommen?
Wir haben die Forderungen zusammen mit den Verbundpartnern priorisiert und werden sie in den nächsten Jahren etappenweise umsetzen. Die ersten vier Stossrichtungen wurden im Januar 2018 von der Steuergruppe Berufsbildung 2030 verabschiedet. Erstens: Die Berufsbildung wird stärker auf das lebenslange Lernen ausgerichtet. Zweitens: Die Bildungsangebote werden flexibler und zielgruppenspezifischer. Drittens: Information und Beratung werden über die gesamte Bildungslaufbahn hinweg ausgebaut. Viertens: Die Verbundpartnerschaft wird gestärkt.

Was bringt das Leitbild den Absolventinnen und Absolventen der Berufsbildung?
Ein hoch attraktives Bildungsangebot, das zu jedem Zeitpunkt horizontale und vertikale Entwicklungen und damit individuelle Bildungslaufbahnen zulässt – ein Bildungsangebot, für das sich auch künftig zwei Drittel der Jugendlichen und Erwachsenen entscheiden.

Wie profitieren die Betriebe vom Leitbild?
Sie erhalten noch mehr Anreize, in die Berufsbildung zu investieren. Es muss sich lohnen, Lernende auszubilden und Mitarbeitende beim Erwerb neuer Kompetenzen zu unterstützen – Stichwort höhere Berufsbildung. Der wichtigste Anreiz ist, dass die Betriebe dank einem attraktiven Berufsbildungssystem auch in Zukunft ausreichend Fachkräfte finden, welche die in der Praxis benötigten Kompetenzen mitbringen. 

Das Leitbild wurde vom Bund, den Kantonen, den Spitzenverbänden der Wirtschaft und den Sozialpartnern gemeinsam erarbeitet. Wie heftig wurde um einzelne Positionen gerungen?
Der Wunsch nach einem Leitbild kam aus der Verbundpartnerschaft. Naturgemäss haben alle Partner eine etwas andere Agenda, die unterschiedlichen Interessen müssen abgewogen werden. Letztlich haben wir einen Konsens gefunden. Die Steuergruppe hat das Leitbild einstimmig verabschiedet.

*) Rémy Hübschi ist Leiter Abteilung Berufs- und Weiterbildung.

 

Strategische Leitlinien

Die Berufsbildung …

  • befähigt Menschen nachhaltig für den Arbeitsmarkt;
  • vermittelt bedarfsgerechte Kompetenzen;
  • ermöglicht individuelle Bildungswege;
  • ist horizontal und vertikal durchlässig;
  • ist flexibel;
  • setzt qualitative Massstäbe;
  • ist stets auf dem neuesten Stand;
  • ist national und international anerkannt;
  • ist bekannt und wird verstanden;
  • ist effizient strukturiert und solide finanziert.

Infobox

  • Infos zum Leitbild «Berufsbildung 2030»: Link
  • Flyer «Leitbild Berufsbildung 2030»: Download

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