Vierte Kosten-Nutzen-Erhebung

«Der Nettonutzen liegt bei 3170 Franken pro Lehrjahr»

Lernende ausbilden rentiert – meistens. Das zeigt die vierte Kosten-Nutzen-Erhebung im Auftrag des Bundes. Erstmals wurde der Zusammenhang zwischen Bildungserlassen und Rentabilität untersucht. Mit interessanten Erkenntnissen. Im Gespräch: Co-Studienleiter Jürg Schweri*.

Ihre Studie zeigt, dass die meisten Betriebe mit der Ausbildung von Lernenden Geld verdienen. Warum ist es wichtig, dies zu wissen?
Weil unser duales Berufsbildungssystem sonst in Gefahr wäre. Die Betriebe haben ein hohes Kostenbewusstsein. Ausbilden muss sich lohnen, sonst verzichten viele Betriebe darauf – wobei «sich lohnen» nicht nur bezogen auf die Lehrzeit zu verstehen ist, sondern auch mit Blick auf die Rekrutierung von Fachkräften.

Wie viel verdient ein Betrieb an einer Lernenden bzw. einem Lernenden?
Der Nettonutzen liegt bei durchschnittlich 3170 Franken pro Lehrjahr. Zwischen den einzelnen Berufen gibt es allerdings grosse Unterschiede. Es gibt solche, bei denen die Betriebe über alle Lehrjahre hinweg einen Nettonutzen von über 40 000 Franken erzielen und andere, bei denen sie über 20 000 Franken investieren.

Darauf kommen wir noch zu sprechen. Vorweg: Wie berechnen Sie den Nettonutzen?
Ausbilden kostet. Die Betriebe zahlen den Lernenden und den Berufsbildenden Löhne. Zudem haben sie Kosten für Arbeitsplätze, Material, Anlagen usw. Dem steht die produktive Leistung der Lernenden gegenüber. Wir berechnen, was es den Betrieb kosten würde, wenn die Arbeit der Lernenden durch gelernte oder ungelernte Mitarbeitende ausgeführt werden müsste. Die Differenz aus Kosten und produktiven Leistungen ergibt den Nettonutzen bzw. die Nettokosten.

Bei welchen Berufen verlieren die Betriebe Geld? Und: Warum bilden Sie trotzdem aus?
Nettokosten resultieren primär bei anspruchsvollen und ausbildungsintensiven beruflichen Grundbildungen wie «Informatiker/-in» oder «Polymechaniker/-in». In diesen Berufen können die Ausbildungsinvestitionen über alle Lehrjahre hinweg nicht amortisiert werden. Beiden Branchen fehlt es jedoch an Fachkräften, weshalb viele Betriebe ihren eigenen Nachwuchs ausbilden. Das heisst: Die jungen Berufsleute bleiben dem Betrieb über die Lehre hinaus erhalten. Dadurch sparen die Betriebe Kosten für die Rekrutierung und Einarbeitung von Fachkräften aus dem Arbeitsmarkt. Unter dem Strich lohnt sich die Rechnung auch hier.

Welche Faktoren entscheiden darüber, wie rentabel eine Lehre für den Betrieb ist?
Zentral ist, ob für die Lernenden genügend produktive Arbeiten anfallen. Da gibt es grosse Unterschiede zwischen den Betrieben. Gleiches gilt für die investierten Ausbildungsstunden – also die Stunden, in welchen die Berufsbildnerinnen und Berufsbildner wegen ihrer Ausbildungstätigkeit selber nicht produktiv sein können. Hinzu kommen Faktoren wie die betriebliche Effizienz oder Löhne.

In der jüngsten Kosten-Nutzen-Studie thematisieren Sie erstmals die Bildungserlasse. Wie zufrieden sind die Betriebe damit?
Im Durchschnitt schätzen sie 83 Prozent der im Bildungsplan festgelegten Ausbildungsinhalte als relevant für den eigenen Betrieb ein. Ein hoher Wert angesichts der Tatsache, dass der Bildungsplan die Handlungskompetenz der Lernenden über die Bedürfnisse des Einzelbetriebs hinaus sicherstellen muss.

Welchen Einfluss hat die Passung der Bildungsinhalte auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Ausbildung?
Müssen die Betriebe viele Qualifikationen vermitteln, die im Betrieb nicht benötigt werden, fällt weniger produktiver Nutzen an. Diese Erkenntnis sollte man berücksichtigen, wenn man beispielsweise ganze Berufsgruppen fusionieren möchte. Die Folge wäre, dass man viel breiter ausbilden müsste – also weniger auf spezifische Bedürfnisse und Rahmenbedingungen der einzelnen Betriebe zugeschnitten.

Angesichts der rasanten Veränderung der Arbeitswelt sollte die Berufsbildung aber vermehrt überfachliche Kompetenzen vermitteln. Ein Dilemma?
Eine Grundspannung. Die Berufsbildung muss das Gleichgewicht zwischen den Interessen des einzelnen Betriebs und den Interessen der Wirtschaft insgesamt – inklusive jenen der Lernenden und Arbeitnehmenden – permanent aushandeln. Überfachliche Kompetenzen sind wichtig, damit Berufsleute neue Herausforderungen bewältigen können und auf dem Arbeitsmarkt mobil sind. Die Betriebe sollten daher auch auf die Entwicklung der Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen achten – also nicht ausschliesslich Fachkompetenzen vermitteln.

Gibt es Berufe, in denen sich der Nettonutzen seit der ersten Erhebung stark verändert hat?
Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist in den meisten Berufen über die Jahre erstaunlich stabil geblieben. Nur wenige Berufe verzeichnen signifikante Veränderungen. Erstmals haben wir auch die zweijährigen EBA-Berufe einbezogen: Die Betriebe erzielen dabei im Schnitt einen Nettonutzen, der mit jenem in den EFZ-Berufen vergleichbar ist.

Können sich Veränderungen der Rentabilität auf die Ausbildungsquote auswirken – also auf den prozentualen Anteil der Betriebe, die in einer Branche ausbilden?
Ja. Wir haben auch nicht ausbildende Betriebe untersucht. Fazit: Letztere bilden nicht aus, weil sie ein ungünstigeres Kosten-Nutzen-Verhältnis hätten.

Wo sehen Sie aus ökonomischer Sicht Handlungsbedarf bei der Berufsbildung?
Lernende übernehmen laut den befragten Betrieben heute mehr Arbeiten, die auch von ungelernten Mitarbeitenden ausgeführt werden könnten. Das Ziel der Lehre ist jedoch, die Lernenden an die Arbeiten der Gelernten heranzuführen. Uns interessiert, warum sich dieses Verhältnis verändert. Stufen die Betriebe die ausgeführten Arbeiten heute anders ein als in früheren Befragungen? Dann hätten wir es nur mit einer Wahrnehmungsverschiebung zu tun. Oder führen die Lernenden tatsächlich zunehmend niederschwelligere Arbeiten aus? Dann würde dies die Qualität der Ausbildung tangieren. Hier müssen wir hinschauen.

Wie gehen Sie vor?
Wir werden die Ausbildungsqualität in den Betrieben im Rahmen einer Nationalfondsstudie genauer untersuchen. Die Frage lautet: Welche betrieblichen Rahmenbedingungen begünstigen erfolgreiche Berufsverläufe?

*) Prof. Dr. Jürg Schweri ist Leiter Forschungsschwerpunkt «Steuerung der Berufsbildung» am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB.

Infobox

Die vierte Kosten-Nutzen-Studie basiert auf einer Online-Erhebung bei rund 5700 Ausbildungsbetrieben und 4000 nicht ausbildenden Betrieben. Es wurden zwei-, drei- und vierjährige berufliche Grundbildungen des Ausbildungsjahrs 2016/17 erfasst. Die Studie wurde vom Observatorium für die Berufsbildung des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (OBS EHB) im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) durchgeführt. Link